Albertus Magnus, »Doctor universalis«

Albertus Magnus, »Doctor universalis«
Albertus Magnus, »Doctor universalis«
 
Es muss, zumindest auf den ersten Blick, erstaunen, dass ein mittelalterlicher Philosoph und Theologe, Angehöriger des Bettelordens der Dominikaner, einen lateinischen Traktat über Falken verfasste (»De falconibus«), der noch ein Jahrhundert später mehrfach ins Deutsche übertragen wurde und von bleibender Bedeutung für die Geschichte der Beizjagd ist. Derselbe Gelehrte war seinen europäischen Zeitgenossen als Albert der Deutsche (Albertus Teutonicus) bekannt und hat, trotz seiner Herkunft aus einem nach zeitgenössischen Maßstäben rückständigen Land, als einziger den sonst Staatsmännern vorbehaltenen Beinamen »der Große« erhalten.
 
Geboren um 1200 in Lauingen an der Donau, gestorben am 15. November 1280 in Köln - Alberts Lebenszeit füllt den größten Teil jenes Jahrhunderts, das einen Höhepunkt mittelalterlicher Geschichte darstellt. Hochbegabt, wurde er von seinem Orden zum Studium nach Paris geschickt. Sodann begründete er in Köln die Hochschule der Dominikaner. Sein Leben ist eng mit dem Orden der Dominikaner verbunden, dem er schon als Jugendlicher beigetreten war und der schon zu seinen Lebzeiten eine ungeheure Ausbreitung erfuhr. Mehrere Jahre war er als Provinzial für die Provinz Teutonia zuständig; auch Bischof von Regensburg ist er gewesen. An der intensiven Erarbeitung der scholastischen Philosophie und Theologie hat er durch die Begründung eines christlichen Aristotelismus großen Anteil. Gegen Widerstände von kirchlicher Seite hat er dem Studium des griechischen Philosophen Aristoteles, dessen Werke zu Alberts Lebenszeit erstmals vollständig in lateinischen Übersetzungen vorlagen, entscheidend den Weg geebnet. Die geschlossene Erklärung der Natur durch den griechischen Philosophen bedeutete für christliches Offenbarungsdenken eine schwere Herausforderung, der sich Albert stellte. Seine wissenschaftliche Leistung, die er neben seinen vielfältigen (kirchen-)politischen Ämtern und Aufgaben erbrachte, schlägt sich in einem ungewöhnlich umfangreichen Werk von etwa 20 000 Druckseiten nieder. Darin nimmt das groß angelegte Unternehmen einer Kommentierung sämtlicher damals bekannter aristotelischer Schriften den wichtigsten Platz ein.
 
Indem er Aristoteles erläuterte, dabei aber auch das gesamte wissenschaftliche Material der Tradition bis in seine Zeit einarbeitete und insbesondere in den naturwissenschaftlichen Büchern durch eigene, auf seinen Reisen gewonnene Beobachtungen ergänzte, gelang ihm eine Zusammenführung des theologischen, philosophischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Wissens seiner Zeit. Er trägt deshalb zu Recht den 1931 verliehenen Ehrentitel eines »universalen Lehrers« der Kirche. Die Ernennung zum Patron der Naturwissenschaftler, die ihm zuteil wurde, weist darauf hin, dass seine wichtigsten Leistungen nicht primär in der Theologie liegen, sondern in der Naturforschung und darin, dass er ihr eine eigenständige Bedeutung beigemessen hat - in der damaligen christlichen Weltsicht eine fast revolutionäre Auffassung. Manche Naturphänomene hat er erstmals beschrieben, etwa Staubfäden und Nektar der Blüten, den Eisbär und das Walross, bei der Darstellung der Mineralien verfolgte er einen eigenen methodischen Ansatz; als einziger, der bis ins 16. Jahrhundert die antike Botanik und Zoologie wissenschaftlich bearbeitete, ist Albert der Größte zwischen Altertum und Neuzeit.
 
Sein Werk ist auch in dem Sinn Synthese, dass es profanes Wissen und christlichen Glauben sowie Platon, Aristoteles und die arabischen Philosophen nebeneinander stellt, ohne dabei jedoch zu systematischer Geschlossenheit zu gelangen. Eine solche wurde von seinem Schüler Thomas von Aquino erarbeitet. Albert bietet also kein System im strengen Sinn, sondern eine lose Verbindung relativ selbstständig bleibender Ausführungen. Diese Offenheit erklärt zugleich, dass von Alberts Denken so unterschiedliche Strömungen wie der Aristotelismus und die deutsche Mystik angeregt werden konnten. Ein solch offenes System läuft auch fast zwangsläufig Gefahr, manche Anschauung unkritisch zu übernehmen. So bleibt Alberts Stellung zur Astrologie ebenso zeitverhaftet wie seine Auffassung von magischen Kräften bei Pflanzen, Edelsteinen und Tieren. Sein Ruf als Alchemist und Zauberer, der ihm - positiv oder negativ - bis ins 19. Jahrhundert verfolgte, beruhte allerdings auf Schriften, die ihm irrtümlich oder absichtlich unterschoben wurden.
 
Eine eigene Schule und damit eine länger dauernde Wirkungsgeschichte ist von Albert allerdings nicht ausgegangen, weil bereits früh nicht seine Lehre, sondern die seines Schülers Thomas im Dominikanerorden verpflichtend gemacht wurde.
 
Dr. Werner Müller
 
 
Flasch, Kurt: Einführung in die Philosophie des Mittelalters. Darmstadt 31994.

Universal-Lexikon. 2012.

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